Fühlen heißt, in etwas involviert zu sein.
* 1929 | ungarische Philosophin
Philosophische Emotionstheorie
In ihrem Buch »Theorie der Gefühle« setzt Heller das »Fühlen« mit dem »Involviertsein in etwas« gleich.
»Dieses ›etwas‹ kann alles sein, z.B.: ein anderer Mensch, eine Idee, ich selbst, ein Vorgang, ein Problem, eine Situation, ein anderes Gefühl. Daß ich in etwas involviert bin, heißt bei weitem nicht, daß dieses ›etwas‹ ein konkret-bestimmtes Objekt ist. So gibt es ›objektlose‹ Wünsche und ›objektlose‹ Furcht. Dieses ›etwas‹ aber, in das ich involviert bin, ist als unbestimmte Gegenständlichkeit in jedem Fall vorhanden. Das Involviertsein kann positiv, negativ, aktiv und reaktiv, direkt und indirekt sein.« [Heller 1981, 19f]
Heller beschreibt eine untere und eine obere Grenze des Involviertseins. Wenn die untere Grenze gleich Null ist, dann hat die Sache oder das Ereignis für mich keinerlei Bedeutung – ich fühle also nichts. Allerdings wird diese Grenze nie erreicht, die Involviertheit kann sich dem 0 Punkt nur unendlich nähern. Das passiert bei repititiven Handlungen und repititivem Denken und wenn uns vollkommen bedeutungslose Informationen vermittelt werden. Die obere Grenze wird einerseits durch den Organismus, andererseits durch die sozialen Umstände bestimmt. Die »Höhepunkte« der organischen Grenze sind individuell unterschiedlich und zeitlich weitgehend begrenzt, denn unsere Energie nimmt ab und Erschöpfung tritt auf. Gefühle werden oft in der Gesellschaft in Form von Gewohnheiten und Riten reguliert, z.B. beim Umgang mit dem Trauergefühl. Dies ist jedoch in jeder Gesellschaft sehr verschieden.
Nach Hellers Theorie sind wir noch nicht vollständig, wenn wir auf die Welt kommen. Unser Organismus beinhaltet als »Information« in Form des genetischen Codes nur die Vorbedingungen der Aneignung der gattungsmäßig-menschlichen Existenz. Die Informationen, die den Menschen zum Menschen machen, finden sich in den menschlichen Beziehungen, in die wir hineingeboren werden, und somit außerhalb unseres Organismus. Stets streben wir nach der Erhaltung des Gleichgewichts unseres Organismus und nach Erweiterung durch Wissen und Erfahrung – also nach der Ganzheit des Menschen. »Das Involviertsein ist nichts anderes als die regulierende Funktion des sozialen Organismus (des Subjekts, des Ichs) in seiner Beziehung zur Welt.« [Heller 1981, 38]
Heller spricht den diversen Formen des gefühlsmäßigen Involviertseins zu, im Dienste einer biologischen und sozialen Homöostase des Menschen zu stehen. In dreifacher Weise fungieren Gefühle ausgleichend auf die Subjekt-Welt-Beziehung:
1. Gefühle selektieren in der Wahrnehmung und wirken somit als Filter von Wahrnehmungseindrücken. Auf diese Weise wird eine Reizüberflutung für den Organismus vermieden.
2. Gefühle fungieren als Motive bei problemorientiertem Handeln. Somit vermeiden sie Starre, wo Reaktionen geboten sind. Das Involviertsein dient der Anordnung und Neuordnung des Wissens.
3. Die homöostatische Funktion der Gefühle spielt bei der Gedächtnis-Speicherung eine grundlegende Rolle. Sie markieren also das, was erinnert und was vergessen werden kann.
Gefühle sind somit die Steuerorgane bei der Erhaltung und Erweiterung des Ich in einer sich stetig wandelnden Umwelt. »Jede Wahrnehmung, jeder Gedanke, jede Handlung etc. wird in unserem Gedächtnisreservoir mit dem ihnen inhärenten konkreten Gefühl zusammen gespeichert.« [Heller 1981, 64]
Oft wird von Gefühlen im allgemeinen gesprochen, Heller merkt aber an, dass Menschen konkrete Gefühle haben. Deshalb hat sie die Vielfältigkeit der Gefühle in folgende »Gefühlstypen« systematisiert:
1. Das Triebgefühl (Drive)
2. Die Affekte (Sexualaffekt, Furchtaffekt, Schamaffekt, Lust- und Unlustaffekte)
3. Die Orientierungegefühle
4. Die Emotionen (Furcht-Emotionen, Freude-Emotionen, Emotionelle Kontakt-Gefühle)
5. Charakter- und Persönlichkeitsgefühle
6. Lebensgefühl, Stimmung, Laune
7. Die Leidenschaft
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Quellen:
Heller, Agnes (1981): Theorie der Gefühle. Hamburg: VSA-Verlag.
Voss, Christine: »Agnes Heller: Theorie der Gefühle.« In: Senge, Konstanze / Schützeichel, Rainer (Hg.) (2013): Hauptwerke der Emotionssoziologie. Wiesbaden: Springer VS. S. 163-167.